Wie wir die Langsamkeit fanden
Die Vorbereitungen
Rückblick ins Frühjahr 2017: Auf der Suche nach dem perfekten Sommerurlaub wühlten wir uns stundenlang durchs Internet und waren kurz davor eine Ferienwohnung in den italienischen Alpen zu mieten, um dort zwei entspannte Wochen Urlaub zu verbringen und ein bisschen zu wandern. Es schien uns ein schöner, machbarer und vernünftiger Urlaub. Bis wir eines Tages in einer Buchhandlung ein Buch entdeckten, in welchem eine Familie über ihre Erfahrungen bei einer Eselwanderung quer über die Insel Korsika berichtete. Diese Idee faszinierte uns vom ersten Augenblick und uns war sofort klar, dass das unser Sommerurlaub werden würde. Viele Stunden Recherche später hatten wir endlich den Perfekten Anbieter gefunden: Eine kleine Eselfarm in den Baronnies Provencales, in Frankreich, 60 km nördlich von Aix-en-Provence. Die Baronnies Provencales sind ein sehr einsamer Landstrich zwischen den Alpen und der Provence gelegen und sehr dünn besiedelt. Das Klima ist schon sehr mediterran, aber gleichzeitig ist die Gegend auch noch alpin geprägt, die höchsten Erhebungen in der Gegend sind bis zu 1700m hoch und es geht immer wieder bis zu 600hm am Stück hoch oder runter.
Nach einem sehr netten Kontakt mit der Besitzerin des Eselhofes war die perfekte Tour für uns gefunden und der Urlaub gebucht: 7 Tage mit dem Esel unterwegs, davon 6 Tage jeden Tag zwischen 10 und 15km wandern und ein Ruhetag dazwischen. Für uns war auch von Anfang an klar, dass wir diese Tour als Selbstversorger im Zelt unternehmen würden und somit alles, was wir für die Woche benötigen mit uns tragen wollen. So beschäftigte uns der Urlaub auch im Vorfeld sehr stark und nicht nur die Vorfreude wurde immer größer. Je näher die Reise rückte, desto mehr wuchsen auch die Bedenken: Haben wir an die komplette Ausrüstung gedacht? Werden die Kinder die Strecke schaffen? Kommen wir mit dem Esel zurecht? Können wir uns überhaupt um einen Esel kümmern? Was für einen Esel bekommen wir? Diese Fragen beschäftigten uns in den Wochen vor der Reise. Tag für Tag wurden wir alle aufgeregter und endlich war es soweit.
Die Anreise
Wir packten unsere Koffer und fuhren nach Südfrankreich. Auf dem Eselhof angekommen wurden wir von der Besitzerin des Hofes sehr nett empfangen und konnten schon einmal Bekanntschaft mit unserem Reisegefährten schließen, der vom nächsten Tag an unsere Begleitung werden sollte: Unser Esel Baltazard. Bevor wir am nächsten Morgen aber aufbrechen konnten, hatten wir noch eine große Aufgabe vor uns: Wir mussten umpacken. Wir hatten die Information, dass der Esel 40kg tragen kann. Also hatten wir ca. 40kg Ausrüstung vorbereitet. Da waren Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, Kleidung, Trinkwasser, Kochgeschirr und Essensvorräte für uns 4 dabei. Die Besitzerin des Eselhofs hat uns dann aber noch den entscheidenden Hinweis gegeben, dass wenn Mio reiten möchte, auch nur 40kg auf dem Esel sein dürfen. Dazu kamen noch ca. 2kg Zaun und Putzsachen für Balthazard. Wir hatten einen Rucksack, der auf dem Esel war, wenn die Kinder nicht reiten. Aber der durfte zum Tragen natürlich auch nicht allzu schwer sein. Wir mussten das Gepäck also um gute 10kg leichter bekommen. Das bereitete uns einiges an Kopfzerbrechen und wir waren den ganzen Abend beschäftigt. Schließlich hatten wir diese Hürde aber gemeistert und wir konnten uns endlich auf den Weg machen.
Den Rhytmus mit Baltazard finden
Die anfängliche Aufregung und Spannung, welche das Reisen mit Esel mit sich brachte, wurde schnell von einer gewissen Tagesroutine abgelöst: Aufstehen, Frühstücken, Zelt einpacken, Esel beladen, wandern, Mittagspause machen, wandern, Esel versorgen, Zelt aufbauen, Abendessen, Schlafen. Diese Routine wiederholte sich so, mit kleinen Abweichungen, jeden Tag. Man kann das Wandern mit Esel allgemein nicht mit einer normalen Wandertour vergleichen. 14 Kilometer mögen auf der ersten Blick nicht weit erscheinen, doch der Esel hat seinen eigenen Kopf. Eine Wanderung mit Esel ist um ein vielfaches entschleunigt, zu oft sind die Gräser und Pflanzen am Wegesrand zu verlockend, als dass man nicht anhalten müsste. Oder was war das für ein Geräusch? Bevor ein Esel nicht genau weiß, was ihn auf den nächsten Metern des Weges erwartet, geht er nicht weiter. So kam es mehrmals vor, dass Balthazard unvermittelt stehenblieb, 2 Minuten oder länger lauschte und sich von uns partout nicht zum weitergehen bewegen ließ. Irgendwann hatte er dann beschlossen, dass alles in Ordnung ist und setzte seinen gemächlichen Weg fort. Sich auf diese Gemächlichkeit und Langsamkeit einzulassen erfordert ein bestimmtes Mindset, das nicht bei allen von uns von Anfang an vorhanden war (siehe weiter unten). Und trotzdem oder gerade deshalb ist die Beziehung die wir und vor allem die Kinder zu Balthazard aufgebaut haben in dieser einen Woche so unglaublich intensiv gewachsen und war von einer innigen Herzlichkeit erfüllt. Die tägliche Pflegeroutine: Putzen, Aufsatteln, Laufen, zu trinken geben, Gehege aufbauen, absatteln, Putzen, zu trinken geben, wurde von den Kindern immer mit begleitet und mit unserer Hilfe freiwillig und sehr gewissenhaft erledigt. Noch nie vorher hatten wir einen tierischen Begleiter so in unserer Mitte. Wir waren sehr erstaunt und begeistert, welche Ruhe und welche Achtsamkeit der Esel in diese Tage brachte.in manchen Momenten vermissen wir ihn und sein ausgeglichenes Wesen heute im Alltag...
Erste Erlebnisse
Die Wanderung bot uns in den ersten Tagen unglaublich viele eindrückliche Erlebnisse, die uns allen nachhaltig im Gedächtnis blieben.
Für die Kinder war die ganze Reise eine spannende Erfahrung und sie konnten Dinge erfahren, die im alltäglichen Leben so nicht mehr präsent sind. Wann erlebt man es schon einmal, dass das einzige Wasser, welches man bekommt, aus dem Fluss kommt? Wann kommt man heutzutage bei uns noch in eine Situation, in der man das Essen klar rationieren muss, damit alle immer gut gesättigt und gestärkt für die Reise sind, keine Reste bleiben und die Vorräte ausreichen? Wo erlebt man bei uns noch eine absolute Ruhe und Einsamkeit und ein absolutes auf-sich-alleine gestellt sein? All diese Erlebnisse sorgten dafür, dass sich die Kinder schnell zu richtigen Reisepartnern entwickelten, die die Situation mit ihrem Wissen bereicherten und für neue Ideen sorgten.
Auch für uns hielt der Beginn der Woche einige Erlebnisse und Überraschungen parat: Als wir am dritten Tag auf einem Campingplatz ankamen und feststellen mussten, dass dieser schon geschlossen hatte. Wir durften dann erst nach längerer Diskussion mit der Besitzerin einer alten, sehr eigenwilligen Frau, auf den Campingplatz. Diese schien anfangs nicht so richtig begeistert, ließ uns dann jedoch zwei Nächte kostenlos auf dem Campingplatz schlafen und erkundigte sich immer wieder nach uns. Auch unvergessen bleibt die Anektode, wie wir ohne weitere Vorräte durch einen Ort wanderten. Durch die Einsamkeit der Gegend waren wir zuvor 3 Tage an keinem einzigen Geschäft oder Bauernhof vorbeigekommen wo wir etwas kaufen hätten können. Wir wussten aber, dass es in diesem Ort einen kleinen Laden geben sollte. Dieser entpuppte sich als eine Bar in der einige leere Weinkisten mit verschiedensten zusammengewürfelten Dingen standen, welche man kaufen konnte: Nudeln, Mais, Einwegrasierer, Wein, Marmelade,....von allem ein bisschen aber nichts womit wir vernünftig unsere Vorräte auffüllen konnten. So mussten wir improvisieren und uns aus den gegebenen Sachen in den nächsten zwei Tagen spannende Gerichte kochen. Erst zwei Tage später kamen wir an einen Ort, welcher als einziger auf unserer Reise einen kleinen Supermarkt hatte, wo wir frisches Obst und Gemüse kaufen und unsere Vorräte auffrischen konnten.
Reibungspunkte
Auf so einer intensiven Reise blieben die Reibungspunkte nicht aus, es gab einige Momente, an welchen jeder persönlich an seine Grenzen kam: Für mich war es oft schwer, zu sehen, dass unser Zeitplan nicht funktioniert, weil der Esel wieder stehenbleiben musste,die Kinder nicht so schnell laufen wollten wie ich oder es einen anderen kleinen Aspekt gab, der uns für ein paar Minuten aufhielt. Allerdings merkte ich auch im laufe der Woche, dass diese Verzögerungen im Ablauf keinerlei negative Auswirkungen hatte und so konnte ich im Laufe der Woche lernen auch mal loszulassen, den Moment zu genießen und nicht sofort an die folgenden 2 Stunden zu denken. Auch körperlich war diese Wanderung nicht immer leicht zu schaffen. Wir mussten uns abwechseln mit Lasse tragen, den Rucksack tragen, Balthazard führen und (in den ersten Tagen in brütender Hitze) zu wandern. Am 4. Tag erwischte uns dann recht überraschend eine ziemlich heftige Kaltfront mit Gewitter und Starkregen und darauffolgendem stürmischem Wind. Die Diskussionen, ob wir weitergehen oder einen Tag am Campingplatz bleiben und unseren Ruhetag vorverlegen sollten, waren, vor allem für die Erwachsenen, kräftezehrend und wurden, genauso wie der Nachmittag mit zwei kleinen Kindern bei stürmischem Regen im Zelt, zur Zerreißprobe.
Die Nordung
Dafür wurden wir am nächsten Tag auf unserer Weiterreise mit einem unvergleichlig schönen Wetter und einer unglaublich frischen Luft belohnt. Die nächsten Tage fielen wir immer mehr in den Rhythmus des Esels und der Kinder, konnten die Tagesetappen richtig genießen und alle wichtigen und schönen Dinge am Wegesrand entdecken. Dazu trug maßgeblich das Wetter bei, welches uns in den ersten Tagen durch die unglaubliche Hitze immer wieder an unsere Grenzen getrieben hatte. Jetzt war es zwar morgens mit maximal 8 Grad und einem schneidenden Wind immer sehr kalt, dafür wurden die Tage erträglich warm und es wurde richtig angenehm sich draußen zu bewegen. Als wir am letzten Tag unserer Reise unser Zelt auf einem Bauernhof aufschlagen durften, erlebten wir ein letztes großes Highlight: Wir bekamen von den Besitzern des Hofes frisches Obst und Gemüse geschenkt. Darunter war eine frisch geerntete Honigmelone. Diese war so lecker dass sogar Lasse, der eigentlich gar keine Honigmelonen mag, sie glücklich verspeiste.
Schlussakkord
Und dann waren wir wieder zurück am Eselhof. Wir mussten Balthazard wieder abgeben, unser Zelt wanderte ins Auto und wir fuhren wieder nach Hause. Der Abschied von dem Esel fiel uns allen vier sehr schwer. Unser treuer Reisegefährte war uns in den letzten sieben Tagen sehr ans Herz gewachsen, vielleicht auch besonders wegen seiner kleinen störrischen Momente. Wir wussten, was er für uns geleistet, und wie treu er uns zur Seite gestanden hatte. Für uns war die Woche ein Ausflug aus unserem stressigen Alltag und auch ein Startschuss für uns, unser Leben zu vereinfachen und die Dinge die wir besitzen zu reduzieren. Die Woche zeigte uns, dass wir nicht viel brauchen, um glücklich zu sein und dass man den Moment genießen und (er)leben sollte. Dies ist seitdem zu einem leitenden Motto für uns geworden und auch wenn es manchmal nicht so einfach ist, haben wir dies nie aus den Augen verloren. Die Kinder erzählen auch heute noch sehr gerne von diesem Urlaub, erinnern sich an vieles und überlegen sich hin und wieder wie das jetzt wäre, wenn wir einen Esel hätten oder wie wir das auf der Eselwanderung gemacht haben. Dieser Urlaub ist der bisher mit Abstand am meisten im Gedächtnis gebliebene und für uns ist klar, dass dies nicht unsere letzte Eselwanderung war.
Wer jetzt Lust hat noch ein wenig mehr Impressionen unserer Wanderung zu sehen, dem sei unsere Bildergalerie ans Herz gelegt, die noch ein paar vertiefende Einblicke bietet.
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